Kirchen-Raum-Entdeckungen

Didaktische Überlegungen

Kirchenräume sind Gedächtnisspeicher. Sie geben Auskunft über den Glauben und sind Bekenntniszeichen ihrer vormaligen Erbauer. Generationen von Christen haben darin ihre Spuren hinterlassen. Der Um- und Ausbau von Kirchenräumen, ihre Ausstattung, Einrichtung mit Gebrauchsgegenständen, Kunstwerken und Schmuck fallen nicht vom Himmel, sondern sind Zeugnisse von Ideen und Glaubensgedanken die manchmal auch in Spannung zueinander stehen. Dazu zählen Unterschiede zwischen den Konfessionen, aber auch Veränderungen im Gebrauch und in den Bedürfnissen der Besucher solcher Kirchenräume einer einzigen Konfession. Und doch: Wer sich diese Spuren vergegenwärtigt und auch manche Gegensätze aushält, kann dabei vieles entdecken, das gerade in stürmischen Zeiten von Veränderung und Wandel Halt im Glauben gibt.

 

Zum Ablauf

Die Kirche als Ort der Gemeinde: Eingebunden in ihre Umgebung, in der sie ein Zeichen setzt und zugleich Verbindung zur profanen Lebenswelt sucht. In einer ersten Begegnung haben die Schüler/-innen wahrgenommen, an welchem städtebaulich exponierten Ort die beiden Ulrichs-Kirchen stehen: Am Beginn bzw. am Ende der prägnantesten Achse durch Augsburg, der Maximilianstraße, in der Handel, Freizeit und Wohnen sich in einer beeindruckenden Straße und auf historischem Boden begegnen.

Eine Kirche zu betreten heißt, in einen anderen Ort zu kommen, aus der Hektik in die Stille, zum Innehalten, sich selbst und Gott zu begegnen. In zwei Gruppen gingen die Schülerinnen und Schüler zunächst in eine der beiden Kirchen. Mit dem Eintrittsritual in die katholische St. Ulrichs-Kirche konnten die Schüler sich einfinden, einen persönlichen Platz in der Größe der Basilika einnehmen, Ruhe finden mit einer Kerze und einem Bibelspruch. Die Architektur wurde erfahrbar gemacht, einfache Übungen lenken den Blick auf Raum und Ausdruck eines strukturierten religiösen Raumes, den es anschließend auf eigene Faust zu erkunden galt. So entdeckt jeder Spannendes, Überraschendes: Zahlreiche Zeugnisse des Glaubens, über Jahrhunderte aufgebaut, gestaltet, Verbindung zwischen den Anfängen des Christentums in Augsburg bis heute. Als prägende Elemente sind zu erkennen der Hochaltar (mit Krippendarstellung), Tabernakel, Ambo. Sie stehen für die Feier der Eucharistie, die bleibende Gegenwart Gottes, Schriftlesung und Verkündigung als zentrale katholische Ausdrucksformen. Darunter die Krypta mit den Grablegungen der Bistumsheiligen Ulrich, Afra und Simpert. In der Heiltumskammer werden einige der ältesten christlichen Zeugnisse Augsburgs aufbewahrt.

Ähnlich verlief die Begegnung in der evangelischen St. Ulrichs-Kirche. Sie wurde über die Jahrhunderte als typisch protestantisches Gotteshaus eingerichtet. Ursprünglich war sie Vorhalle zur großen Ulrichsbasilika. Jetzt stehen darin Kanzel, Taufstein und Sakramentsaltar sinnenfällig für die lutherischen Hauptstücke Predigt, Taufe und Abendmahl. Die biblischen Bildillustrationen an der Empore und der Bürgerbarock dokumentieren Stolz und Kirchenverbundenheit der evangelischen Augsburger. Die Schülerinnen und Schüler ent-deckten diese Kirche zunächst ebenso als Raum der Stille, der Konzentration, als Augenweide voller Anregungen, von Fragen und Antworten zugleich. Viele zogen Vergleiche mit anderen, auch modernen evangelischen Kirchen, erörterten Unterschiede, einige berichteten über ihr ehrenamtliches Engagement in ihrer Heimatgemeinde. Den Abschluss bildete eine kurze Bibellese. Am neuen Lese- und Predigtpult konnten alle einen kurzen Bibeltext ihrer Wahl bei eingeschaltetem Lautsprecher vorlesen, während die anderen hören: So konnten sie nachempfinden, wie es ist, im Gottesdienst aktiv einen biblischen Text zu lesen oder zu predigen – und auch, Gottes Wort einmal aus dem Mund einer Mitschülerin oder eines Mitschülers zu hören.

 

Auswertung

Die Schülerinnen und Schüler haben sich bereitwillig auf ihre Exkursion durch die beiden Kirchen eingelassen. Sie begegneten Kirche, ohne ihre baulichen und spirituellen Elemente zuerst erklärt zu bekommen. Statt dessen erlebten sie „Kirche zum anzufassen" und formulierten erst im Nachgang ihre Fragen, die in den folgenden Unterrichtsstunden erörtert werden konnten. Eine Begegnung, die nachhaltig war: „Wären wir auf den Christkindlesmarkt gegangen oder hätten wir einen Ausflug gemacht, so wären wieder Programm und Hektik gewesen. Hier konnten wir zur Ruhe kommen!" (Äußerung eines Schüler in der folgenden Woche).

 

Meinrad Hörwick

Dr. Uwe Stenglein-Hektor