Markus Moder leitet im Bistum Augsburg den Fachbereich Schulpastoral, Ganztagsbildung und Schulentwicklung. Im Interview mit der Online-Redaktion des Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt er das Engagement des Bistums Augsburg in Ganztagsschulen vor.
Online-Redaktion: Herr Moder, was veranlasst die katholische Kirche, sich in Ganztagsschulen zu engagieren?
Markus Moder: Die katholische Kirche hat schon immer eine Ganztagsbildung angeboten. Die Klosterschulen und die kirchlichen Internate haben – auf dem Stand ihrer Zeit – nichts anderes als ganztägige Bildung verwirklicht. Hier wurde geschaut, wie Kinder und Jugendliche zur Bildung geführt werden können, die aufgrund ihrer Lebensumstände und ihrer Biografien eben nicht in der Lage waren, ohne Unterstützung eine höhere Bildung zu erreichen. Für diese Schülerinnen und Schüler war dies eine Möglichkeit, einen entsprechenden Abschluss erhalten zu können.
Ganztagsschule definiert sich heute auch in dem Gedanken der Teilhabegerechtigkeit und der Inklusion, und mit der kirchlichen Tradition sind wir da mittendrin. Das Bistum Augsburg selbst ist mit einer eigenen Stiftung, dem Schulwerk, der Träger von fast 40 kirchlichen Schulen, die mit offenen und gebundenen Ganztagsbetrieben ausgestattet sind – das ist ganz unabhängig von den Ganztagsangeboten, die wir durch kirchliche Religionslehrkräfte an staatlichen Schulen anbieten. Da engagieren wir uns auch aus voller Überzeugung und stellen eigene finanzielle Mittel zur Verfügung. Das ist uns diese Unterstützung auch wert. Übrigens gibt es dieses Engagement in allen bayerischen (Erz-)Diözesen.
Online-Redaktion: Wie sah 2011 die Situation im Bistum Augsburg aus, als Sie dort Ihre Stelle als Referent antraten?
Moder: Zwischen dem Kultusministerium und den bayerischen (Erz-)Diözesen besteht ein Vertrag über den Einsatz kirchlicher Religionslehrkräfte in staatlichen Mittelschulen mit einem gebundenen Ganztag. Als ich damals meine Tätigkeit begonnen habe, waren auf Grundlage dieses Vertrages acht kirchliche Religionslehrkräfte mit einem Stundenumfang von 22 Wochenstunden im Einsatz. Heute sind es 13 Religionslehrkräfte mit 35 Wochenstunden. Dazu kommen jetzt neue Kooperationsverträge mit den Regierungen von Schwaben und Oberbayern und dem Bistum Augsburg, durch die Religionslehrkräfte auch an den staatlichen Grundschulen und Förderschulen im offenen oder gebundenen Ganztag mit Projekten tätig sind. Es gibt also eine Verstetigung mit Tendenz nach oben.
Online-Redaktion: Welche Angebote machen Ihre Lehrkräfte?
Moder: Im Vertrag des Kultusministeriums und den bayerischen Diözesen ist klar geregelt, in welchen Bereichen die Lehrkräfte im Ganztag tätig sein können. Religionsunterricht im eigentlichen Sinne ist im Ganztag nicht möglich, der wird in der regulären Stundentafel durchgeführt. Die Angebote im Ganztag, die vom Staat refinanziert werden, müssen für alle – somit unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Einstellung – offen sein, nicht nur für die katholischen Schülerinnen und Schüler.
Dezidiert religiöse Angebote scheiden hier also aus, aber auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes können wir stattdessen musisch-spirituelle Themenfelder anbieten – Bereiche der Medienpädagogik, aber auch Klassenrat, Stärkung der Klassengemeinschaft oder die Aufarbeitung von Mobbing und präventive Aufgaben in diesem Bereich gehören dazu. Im offenen Ganztag und bei Projektarbeit in der gebundenen Form, wenn Schülerinnen und Schüler eine Wahlalternative haben, ist auch eine religiöse Ausrichtung der Angebote möglich.
Diese Ganztagsstunden werden zwar vom Staat refinanziert, allerdings nicht zu 100 Prozent, und diese Lücke für die Personalkosten, für Ausbildung und Qualifizierung schließt die Kirche. Wir sorgen auch dafür, dass bei Krankheitsfällen immer verlässlich Personal zur Verfügung steht.
Online-Redaktion: Machen Sie den Schulen Angebote, oder kommen die Schulen mit Wünschen auf Sie zu?
Moder: Unsere Religionslehrkräfte arbeiten sowieso schon oftmals an den Ganztagsschulen, was ein Glücksfall ist. Sie sind mit dem Kollegium vertraut, kennen sich in der Schule gut aus und sind bei den Schülerinnen und Schülern bekannt. Die Schule tritt dann an diese Kolleginnen und Kollegen heran mit dem Wunsch, dass sie ein bestimmtes Angebot sehr gut im Ganztag gebrauchen könnte. Es kann zum Beispiel sein, dass die Schule gerne einen Klassenrat einführen möchte und jemanden sucht, der das begleiten kann. Im Dialog ermitteln wir dann den genauen Bedarf. Und ich schaue, welcher Lehrer oder welche Lehrerin für dieses Programm zur Verfügung steht und welche passende Qualifizierung jemand besitzt.
Online-Redaktion: Was ist Ihnen inhaltlich wichtig?
Moder: Wir orientieren uns stark an der Frage Jesu: „Was willst du, das ich dir tun soll?‟ Deswegen sind unsere Angebote ganz individuell zugeschnitten. Was brauchst du, Schule, was brauchst du, Schülerin oder Schüler, um zu – wieder biblisch gesprochen – „einem Leben in Fülle beizutragen‟? Da kann es wichtig sein, an einer Ganztagsschule eine Mädchen-AG zu gründen, damit diese die Möglichkeit bekommt, sich einmal austauschen zu können, was im Trubel des Schulalltags oft nicht möglich ist.
Oder wir richten einen Klassenrat ein, wenn wir merken, dass es in einer Klasse knirscht oder dass Schüler gemobbt werden. Mit unseren Angeboten möchten wir die Schülerinnen und Schüler auf Grundlage des christlichen Menschenbildes unterstützen, damit diese ihr Leben gut führen können. Unsere Aufgabe ist es, nah am Menschen zu sein. Hier zeigt Kirche Gesicht und sagt: Uns ist der Mensch wichtig.
In der Bayerischen Verfassung stehen unter Artikel 131 als Bildungsziel nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch die Bildung von Herz und Charakter, die Ehrfurcht vor Gott, die Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen. Dem fühlen wir uns verpflichtet, und das können wir im Ganztag ganz hervorragend verwirklichen und unterstützen.
Online-Redaktion: Für welchen Zeitraum werden die Kooperationsverträge abgeschlossen?
Moder: Die Kooperationsverträge mit der Regierung von Schwaben sehen vor, dass die Verträge nur für ein Schuljahr gelten dürfen. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Verträge meistens Jahr für Jahr verlängert werden und sich die Zusammenarbeit verstetigt. Beim Vertrag mit dem Kultusministerium hinsichtlich der Mittelschulen werden diese Verträge ebenfalls jährlich fortgeschrieben, und hier sind die Erfahrungen genauso positiv: Ist eine Religionslehrkraft erst einmal dabei, dann ist sie häufig bis zum Ende ihres Berufslebens in der Ganztagsschule im Einsatz.
Online-Redaktion: Wie stellen Sie die Qualität der Angebote sicher?
Moder: Für den Ganztag muss zunächst einmal ein Konzept bei der Schulleitung und mir zur Prüfung vorgelegt werden, und beide müssen es genehmigen. Zum Start besuche ich die jeweilige Schule, ich spreche mit der Lehrkraft und mit der Schulleitung. Ich schaue mir die Räumlichkeiten an. Es ist mir wichtig, dass ich mir einen persönlichen Eindruck verschaffen kann, wo die Sorgen und Nöte der Schule liegen. Genauso wichtig ist, dass mich die Schulleitung kennt und ein Gesicht mit dem Bistum verbinden kann. Diesen Besuch wiederhole ich dann nach drei Jahren.
Einmal im Jahr findet zudem eine verpflichtende dreitägige Fortbildung, die sogenannte Werkwoche, für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt. Die Themen kommen aus der Mitarbeiterrunde. In diesem Schuljahr hatten wir die „religionssensible Schule‟ zum Thema, um uns fit zu machen für die verschiedenen religiösen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler und um unsere Angebote entsprechend platzieren zu können. Im zweiten Schulhalbjahr kommt noch ein Studientag hinzu, an dem der Erfahrungsaustausch der Lehrkräfte untereinander im Vordergrund steht. Es gibt immer einen kleinen Input, letztes Jahr war das zum Beispiel ein Erste-Hilfe-Kurs.
Online-Redaktion: Wie beurteilen Sie die Kooperation mit den Ganztagsschulen insgesamt?
Moder: Ich bin sehr zufrieden, es ist ein partnerschaftliches Verhältnis. Wir stehen in gutem Kontakt und regelmäßigem Austausch, auch mit den Regierungen von Schwaben und Oberbayern. Das Einzige, was ich für korrekturbedürftig halte, ist die Engführung des Vertrags mit dem Kultusministerium, der den Einsatz in der Ganztagsschule aktuell auf die Mittelschulen beschränkt. Den Schulen und uns würde es guttun, wenn wir das Angebot der Ganztagsbildung auch auf Grundschulen und Förderschulen ausweiten könnten. Als der Vertrag mit dem Kultusministerium geschlossen wurde, gab es ja noch keine gebundenen Ganztagsgrundschulen, was sich inzwischen geändert hat.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!