pba: In der aktuellen Diskussion über die Grundschulreform in Bayern tauchen immer wieder Fragen auf, wie zeitgemäß der Religionsunterricht heute noch ist und welchen (Mehr)Wert er überhaupt hat. Antworten darauf gibt im Folgenden Weihbischof Florian Wörner, der als Bischofsvikar die Hauptabteilung Schule und Bildung leitet.
Weihbischof Wörner, in verschiedenen Leserbriefen und Aussagen der letzten Tage wurde immer wieder der Vorschlag vorgebracht, den Religionsunterricht im Umfang zu reduzieren oder sogar ganz abzuschaffen. Was sagen Sie Befürwortern eines solchen Vorgehens, auf die Aussage, „Religion ist eine Privatsache und die Kirchen sollen sich aus dem Feld der Schule zurückziehen“?
Wer sich mit Religionsunterricht an der Schule befasst, muss sich zunächst mit der Frage beschäftigen, welchen Auftrag Schule hat; und dabei hilft ein Blick in das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, in dem steht: „Die Schulen haben den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Charakter bilden. Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, vor der Würde des Menschen und vor der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur, Umwelt, Artenschutz und Artenvielfalt“. Die Kirchen waren und sind bei der Verwirklichung dieses Auftrags seit Jahren ein verlässlicher Partner und wollen sich auch weiterhin dieser wichtigen Aufgabe stellen, um Verantwortung für junge Menschen zu übernehmen.
Warum halten Sie den Religionsunterricht für unverzichtbar an bayerischen Schulen?
Ein zeitgemäßer Religionsunterricht, der didaktisch ansprechend und ganzheitlich gestaltet ist, bietet durch seine unterschiedlichen Zugangswege in allen Schularten die Chance, Kindern und Jugendlichen Räume für ihre Lebens- und Glaubensfragen zu öffnen. Der Religionsunterricht ermöglicht es, jungen Menschen über sich, das Leben und dessen Sinn sowie über Gott nachzudenken. Er thematisiert grundlegende Fragen, die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind, wie etwa den Umgang mit der Schöpfung, die Fragen eines friedvollen Zusammenlebens, auch zwischen den Religionen, oder die Frage danach, wie ein würdevoller Umgang mit Menschen am Lebensanfang und –ende aussehen kann. Es geht im Religionsunterricht darum, Wertevorstellungen zu reflektieren, begründet Stellung zu beziehen und daraus eigene Handlungsperspektiven zu entwickeln.
Wäre dann aber nicht ein sogenannter „Ethikunterricht für alle“ der bessere Ort für solche Auseinandersetzungen?
Die Diskussion um die Basis eines friedlichen Zusammenlebens und um gesellschaftliche Werte kann in meinen Augen nicht ohne Rückbindung an das Evangelium und ein christliches Menschen- und Weltbild geführt werden. Der Mehrwert des Religionsunterrichts besteht gerade darin, dass er genau das fundiert und begründet anbietet. Außerdem darf davon ausgegangen werden, dass das religiöse Suchen und die Frage nach Gott bei den meisten - ob ausgesprochen oder unausgesprochen - ein Thema sind, über das gut und kompetent nachgedacht und reflektiert werden muss, und zwar nicht nur im privaten Raum. Die Ehrfurcht vor Gott steht als eines der obersten Bildungsziele auch in der Bayerischen Verfassung (Art. 131.2).
Die Gesellschaft wird aktuell oft als zerrissen und auseinanderdriftend beschrieben und wahrgenommen. Konflikte zwischen Menschen verschiedener politischer Positionen, unterschiedlicher Religionen und individueller Meinungen stehen einander oftmals konfrontativ oder sprachlos gegenüber. Welche Rolle kann hierbei der Religionsunterricht spielen, auch um Gräben zu überwinden?
Der Religionsunterricht ist auch ein Raum des Dialogs und der Demokratiebildung. Denn die durchaus sehr heterogene Zusammensetzung von Religionsgruppen ermöglicht die Wahrnehmung unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Positionen zu unterschiedlichen Themen. Ein Grundanliegen dabei ist es, Dialog einzuüben und zu praktizieren, andere Sichtweisen kennenzulernen, und den anderen trotz seiner Meinung zu akzeptieren, die eigene Sichtweise zu vertreten und letztlich aus religiöser Perspektive sprachfähig zu werden. Dabei spielt gerade die Auseinandersetzung mit der eigenen Überzeugung und Glaubenstradition, etwa im Vergleich zu anderen Religionen eine wichtige Rolle, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede achten und wertschätzen zu können.
Weihbischof Wörner, wenn Sie den Satz „Schule braucht Religionsunterricht, weil…“ beenden sollen, dann lautet Ihre Antwort?
Schule braucht Religionsunterricht, weil er etwas leistet, was andere Fächer nicht geben können: Er ermöglicht Begegnung mit gelebtem Glauben, dient der Persönlichkeitsbildung und reflektiert Grundlagen, von denen unsere freiheitlich-demokratische Ordnung und unser gesellschaftliches Miteinander leben.