Impuls zur Fastenzeit - Zeit der Leere - Zeit der Fülle

Vor uns liegen Tage der Vorbereitung auf die spirituell wohl dichteste Zeit unserer Glaubenswelt: die Erinnerung an das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu. Jedes Jahr sind wir eingeladen Unfassbares zu bedenken und am Ende auch ausgiebig zu feiern.

Leid und Tod sind uns durch die Corona-Pandemie und den Krieg des politischen Russlands gegen die Ukraine unwillkürlich näher gekommen.      Neben der in Zahlen belegbaren Inflation ist es zu einer Inflation der Sorgen und Fragen, der Ängste und Befürchtungen gekommen. In vielen Herzen und Hirnen macht sich Leere breit: ratlos, stumm, quälend.      Unsere Kirche ist aus vielerlei Gründen leider nicht mehr der stabilisierende Faktor in einer morscher werdenden Gesellschaft...

Ostern wird auch dieses Jahr wieder davon erzählen, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben werden. Dies in Schule und Gemeinde zu untermauern, zu gestalten und zu feiern wird in diesem Jahr wieder Kraft kosten.

Die österliche Bußzeit kann dabei helfen, an Ostern nicht unverhofft in eine Blase von Halleluja-durchwehter Glaubensselbstverständlichkeit zu gelangen. Die kommenden Wochen dienen einer Ernüchterung, die uns zum Geschenk werden kann. Denn sich einer Leere zu stellen, die bewusst herbei geführt wird, ist etwas anderes als die Erfahrung von Mangel oder Verlust.

Leer werden kann dann heißen: loslassen, abgeben, verzichten, Abstand nehmen, weg legen.
Wenn dies aus freien Stücken geschieht, kann Leere eine Portion Leichtigkeit bewirken, die den schweren Alltag neu und anders erfahrbar werden lässt.
Mit Blick auf den Verzicht auf Nahrung gibt es dafür in Frankreich eine ironisch-charmante Formulierung: „Danser devant de buffet“ = vor dem (leeren) Küchenschrank tanzen.

Was hält mich gefangen und besetzt?    Was ist mir zur Bürde/zur Last geworden?   Was hemmt mich und bremst mich aus?
In Bezug auf alle Lebensbereiche können solche Fragen beim Ausleeren der eigenen Lebens-schränke helfen. Ein erster Schritt kann schon darin bestehen, solche Fragen überhaupt zu zu lassen. Es wird dauern, sich von Gedanken, Einstellungen, Überzeugungen, Gewohnheiten zu verabschieden und Leere herbei zu führen.

Die Leere bietet zugleich eine wunderbare Chance: Fülle!
Wer Raum schafft, kann neu hin schauen, sich orientieren, um-orientieren und gegebenenfalls neu einrichten, d.h. für etwas Wertvolles oder Wichtiges im Lebensschrank einen guten Platz finden. Fülle erlangen heißt dann: nach einem neuen Durchblick Vergessenes wieder entdecken, Verbor-genes hervor holen, sich einen Wunsch erfüllen, Beziehungen pflegen, Pläne schmieden...

Was fehlt mir?   Was sollte ich mir gönnen?   Wofür wünsche ich mir Zeit?   Wer ist mir wichtig?
Solche Fragen können helfen, einen möglichen Verzicht oder ein Loslassen in ein Geschenk zu verwandeln, das die Lebensqualität wachsen lässt.  Dabei darf es nicht beim Fragen bleiben. Wichtig ist der kreative Umgang mit den jeweiligen Antworten, sind die ersten Schritte hin zu mehr Fülle. Nicht erst an Ostern! Sondern schon auf dem Weg dahin.
Damit wir – bewusst geleert und zugleich erfüllt – als „aufgeräumte“ Menschen in die Heilige Woche eintreten und an Ostern kräftig und überzeugend miteinander ‚Halleluja‘ singen können.

P. Norbert M. Becker MSC, Lehrerseelsorger